Exkursionen

Unser Bericht aus Neapel

Los ging unsere diesjährige Europareise am frühen Morgen des 17. Oktober 2019. Startpunkt für die zwölf Teilnehmer aus sechs verschiedenen Kreisverbänden war der Düsseldorfer Flughafen. In Neapel angekommen wurde die Gruppe herzlich von einem Mitglied der GFE Napoli, des örtlichen JEF-Kreisverbands, in Empfang genommen. Das Willkommen stellte sich später als Vorgeschmack auf die außerordentliche neapolitanische Gastfreundlichkeit heraus.

Das Programm unserer Begegnungsreise wurde überwiegend von der GFE Napoli vorbereitet, sodass wir Gelegenheit hatten, die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer politischen Bildungsarbeit unmittelbar zu erfahren. Gleichzeitig haben unsere Gastgeber die Begegnung zum Anlass genommen, selbst neue Erfahrungen in ihrer eigenen Stadt zu machen. So hatte die Mehrheit von ihnen zum ersten Mal die Gelegenheit mit Vertretern des Europe Direct-Verbindungsbüros zu sprechen oder sich mit der Flüchtlingshilfe auszutauschen.

Das sogenannte Spanische Viertel ist ein lebhafter Teil Neapels mit zahlreichen Restaurants und Bars, die wir in den folgenden Tagen oft frequentiert haben.

Nach einem ersten Espresso im Zentrum der Stadt haben die Teilnehmer die angemieteten Apartments im Quartieri Spagnoli bezogen. Das sogenannte Spanische Viertel ist ein lebhafter Teil Neapels mit zahlreichen Restaurants und Bars, die wir in den folgenden Tagen oft frequentiert haben. Erster offizieller Termin war sodann das Gespräch mit der Leitung von Europe Direct Neapel. Die Informationsstelle zählt zu den größten Europe Direct-Büros in Europa und organisiert jährlich eine Vielzahl von Veranstaltungen und veröffentlicht selbst erstellte Publikationen. Die Räumlichkeiten werden von der Universität Neapel angemietet, wo der Leiter selbst forscht und wissenschaftlich publiziert. Für die italienischen Teilnehmer unserer Fahrt war dieser stark wissenschaftliche Fokus von Europe Direct nichts Ungewöhnliches, da sie selbst oft Veranstaltungen mit akademischem Hintergrund abhalten.

Noch am ersten Abend stand ein weiterer Programmpunkt auf der Agenda: Unsere neapolitanischen Freunde nahmen uns mit zu einem Vortrag der europäischen Studentenorganisation AEGEE. Thematisch ging es um Definition und Methoden der sozialen Inklusion. In Anbetracht der offenen Gestaltung des Vortrags wurde im Anschluss lang diskutiert, z.B. über die Frage, ob soziale Inklusion überhaupt auf europäischer Ebene gefördert werden solle oder ob das Thema im Sinne der Subsidiarität in den Aufgabenbereich der Mitgliedsstaaten gehört. Ein toller Abschluss für einen Tag voller neuer Eindrücke.

Am zweiten Tag führte uns ein Mitglied der GFE Napoli durch die Altstadt, wo wir zahlreiche barocke Kirchen und die Straße der Krippenbauer sehen, sowie die angeblich beste Pizza der Stadt probieren konnten. Nachmittags ging es per Seilbahn nach Vomero, das Stadtviertel auf dem Hügel. Vom dortigen Castel Sant’Elmo erschloss sich uns ein grandioser Blick über die Stadt und den Vesuv. Nebenbei erfuhren wir von unseren Gastgebern allerlei über das Leben in Süditalien, das europaweit u.a. für die hohe Jugendarbeitslosigkeit bekannt ist. Die JEF-Mitglieder, die wir trafen, waren überwiegend Studierende oder junge AbsolventInnen. Dennoch haben einige von ihnen Jobs unterhalb ihrer Qualifikationen und fast alle leben bei ihren Eltern.

Nebenbei erfuhren wir von unseren Gastgebern allerlei über das Leben in Süditalien, das europaweit u.a. für die hohe Jugendarbeitslosigkeit bekannt ist.

Am Samstag trafen wir dann die gesamte Gruppe der GFE Napoli. Sie luden uns ein zu einer Podiumsdiskussion über die Neapolitanische Republik. Die Diskussion ist Teil einer öffentlichen Veranstaltungsreihe, die die Gruppe im monatlichen Rhythmus in den Räumen der Philosophischen Fakultät der Universität Neapel abhält. Das Thema – ein wichtiger Abschnitt der Stadtgeschichte – war gänzlich neu für uns und daher fordernd. Gleichzeitig waren wir beeindruckt vom inhaltlich anspruchsvollen Niveau der Vorträge und der guten Zahl an Besuchern (ca. 15 Leute).

Auf die Veranstaltung folgte ein gemeinsames Pizza Essen, ein Spaziergang an der Strandpromenade und lange Gespräche über Kommunal- und Europapolitik. Die Teilnehmer der Begegnung konnten so ihre Fragen in Einzelgesprächen und Kleingruppen loswerden und ihre Meinungen intensiv austauschen.

Um uns für den Ausflug nach Pompeji vorzubereiten, ging es am nächsten Tag ins Archäologische Museum. Dort sind viele Fundstücke aus den Ruinen ausgestellt, u.a. Fresken und Mosaiken aus den Häusern der verschütteten Stadt. Zur Mittagspause führte uns ein JEFer zur grünen Lunge der Stadt, dem Park Capodimonte, wo wir beim Picknick nochmal Gelegenheit zum Gespräch hatten.

Anschließend stellten uns die Gastgeber das „wahre Neapel“ vor. Im Viertel Sanità, das selbst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich schlechter an die Innenstadt angeschlossen ist als z.B. das schöne Vomero, liefen wir zwischen bröckelnden Fassaden und knatternden Vespas hinab zu einer knallbunt bemalten Kirche. Dahinter fanden wir in einem alten Steinbruch den Eingang zu einem Katakomben-Gewölbe mit abertausenden Schädeln. Unser ortskundiger JEFer erklärte sodann, dass die Neapolitaner eine enge Beziehung zum Tod haben und gleichzeitig sehr abergläubisch sind. So ist z.B. vor ca. 150 Jahren ein Kult um die Schädel dieser Katakomben entstanden, demnach das Pflegen der Schädel und das Beten für ihre Seelen Glück bringen soll.

Abends war es wieder Zeit für Gespräche. Zusammen mit der GFE Napoli trafen wir die Bewegung VOLT Neapel und die Partei “Più Europa” (Mehr Europa). In gemütlicher Atmosphäre mit Snacks und Aperitif haben wir Details zur italienischen Politik und dem politischen System erfahren. Die beiden pro-europäischen Organisationen haben einige gemeinsame Ziele, setzen sich jedoch jede auf ihre Weise für ein vereintes Europa und im Allgemeinen gegen die aktuellen Regierungsparteien ein. Die meist jungen Mitglieder von VOLT sehen die Orientierung hin zu mehr europäischer Zusammenarbeit als Alternative zum „Chaos der italienischen Regierung“. Die Euroskepsis vieler italienischen Wähler führten unsere Gesprächspartner beider Parteien auf mangelnde politische und allgemeine Bildung zurück – Studien zufolge seien 50% der Italiener funktionelle Analphabeten.

In den Katakomben des Cimitiero delle Fontanelle werden die Schädel von „verlorenen Seelen“ verehrt

Im Viertel Sanità

Die Mitarbeiterin des Goethe-Instituts, das wir am darauffolgenden Tag besuchten, bestätigte, dass in Süditalien eine generelle Politikverdrossenheit und ein mangelndes Interesse an der Europäischen Union vorherrscht. Die Menschen in Süditalien hätten kein Vertrauen in die italienische Politik und glaubten nicht, dass die EU imstande wäre, ihre Probleme zu lösen. In Süditalien sei die Familie die entscheidende soziale Stütze und wirke daher auch strukturell auf alle Lebensbereiche aus. Dort, wo der Staat demzufolge abwesend sei, hätten kriminelle Strukturen wie die Mafia ein leichteres Spiel. Bei der letzten Europawahl habe es nach ihrem Eindruck kaum Wahlkampf gegeben und die Wahlbeteiligung sei entsprechend gering gewesen.

Vom Goethe-Institut wurden wir in demselben Palazzo willkommen geheißen, in dem Goethe selbst auf seiner Italienreise diniert hatte. Hier erklärte man uns, dass die Nachfrage nach Deutschkursen in Neapel ungebrochen hoch sei. Die jungen Menschen, die in Neapel zwar eine gute Bildung genießen, aber dennoch unter der hohen Jugendarbeitslosigkeit leiden, sähen oft bessere Zukunftschancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Als Nächstes machten wir im Stadtrat die Bekanntschaft mit Vertretern der Kommunalregierung. Sie teilten uns ihre Gedanken zu Chancen und Risiken der Einwanderung nach Italien und des Tourismus mit. Beides müsse mit durchdachten Maßnahmen gut reguliert werden, um den mit diesen Phänomenen einhergehenden Problemen entgegen wirken zu können.

Generell wurde festgehalten, dass der arme Süden Italiens – anders als es in Ostdeutschland der Fall sei – wenig bis kaum Unterstützung vom wohlhabenden Norden Italiens erfahren habe. Insgesamt würden sich die politischen Einstellungen in den beiden Teilen des Landes stark unterscheiden. Im Süden gebe es eine stärkere Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen.

Mit Bezug zur Europäischen Union betonten die Stadträte, dass Italien und insbesondere Süditalien durch seinen Standort eine politische Brücke nach Nordafrika schlagen könnte.